4.8 Stimmrechtsberater
Um die Stimmpflicht verantwortungsvoll und effizient zu erfüllen, nehmen manche Vorsorgeeinrichtungen die Dienstleistungen von Stimmrechtsberatern («Proxy Advisors», «Proxy Firms») in Anspruch.
Dies betrifft in erster Linie Pensionskassen, die entweder direkt oder über einen Einanlegerfonds eine grössere Zahl von Schweizer Aktien halten – und zwar unabhängig von der Grösse der Pensionskasse: Während kleineren Einrichtungen die Ressourcen zur Entscheidungsfindung oftmals fehlen, sind grössere an einer möglichst fundierten Abstützung ihres Stimmentscheides interessiert.
Die Juristin Mariel Hoch definiert den Begriff wie folgt: «Proxy Advisory ist die entgeltliche Beratung institutioneller Investoren bei der Ausübung ihrer Stimmrechte an Generalversammlungen kotierter Gesellschaften. Diese beratende Tätigkeit nehmen Proxy Advisors wahr, indem sie konkrete Empfehlungen (FÜR oder GEGEN, selten ENTHALTEN) zu den einzelnen Traktanden einer Generalversammlung abgeben, wobei diese die individuellen Interessen der Investoren nicht berücksichtigen. Empfehlung und dazugehörige Begründung stützen sich auf interne Richtlinien der Proxy Advisors und werden in Berichtsform abgegeben.»1.
Es heisst gemeinhin, dass an der Generalversammlung eines Schweizer Unternehmens mit einem breiten Aktionariat jede dritte Stimme von Stimmrechtsberatern beeinflusst sein dürfte. Im Markt für Stimmrechtsberatung sind inländische und ausländische Anbieter aktiv. Das grösste Gewicht hat ISS (➔ issgovernance.com), gefolgt von Glass Lewis (➔ glasslewis.com). Die schweizerischen Anbieter, namentlich Ethos (➔ ethosfund.ch) und zRating (➔ inrate.com), sind kleiner, dafür mit den hiesigen regulatorischen Gegebenheiten gut vertraut. Ein guter Artikel zu ISS findet sich in der Bilanz, siehe ➔ bilanz.ch/unternehmen/ stimmrechtsberater-iss-so-tickt-dieaktionaers-polizei-902708.
Es lohnt sich, im Rahmen der kontinuierlichen Investor Relations und besonders bei Kapitalmarkttransaktionen oder delikaten Generalversammlungen den Kontakt zu den Stimmrechtsberatern zu suchen. IR müssen deren Bedürfnisse kennen und auch die Spannungsfelder, bei denen die Vorstellungen von Unternehmen und Stimmrechtsberatern auseinanderklaffen. Aktuell betrifft dies etwa das Tempo der Umsetzung von Geschlechterquoten oder von Klimazielen. Aber auch die Wahl der Verwaltungsräte und die Höhe der CEO-Vergütungen werden wieder vermehrt kritisch beurteilt. Die deutsche IR-Fachvereinigung DIRK hat überdies einen ausgezeichneten Ratgeber zum Umgang mit Stimmrechtsberatern publiziert, u.a. mit guten Porträts der wichtigsten Akteure, siehe ➔ dirk.org/wp - content /uploads/2020/11/ IR- Guide- Proxy-Advisor_FINAL.pdf
1 | Hoch, Mariel: Proxy Advisory – eine Standortbestimmung, SZW/RSDA 5/2016, ➔ baerkarrer.ch/de/publications/proxy-advisory-eine-standortbestimmung |