2.3 Zahlen und Transparenz
Die ausgewiesenen, geprüften Finanzzahlen bilden die Basis jeder Unternehmensbewertung.
Investoren und Finanzanalysten verwenden viel Zeit darauf, die Bilanz, Erfolgsrechnung, den Eigenkapitalnachweis und die Mittelflussrech nung und die ihnen zugrunde liegenden Trends zu analysieren und zu extrapolieren.
Das ist einfacher gesagt als getan, denn verschiedene Faktoren erschwe ren es Investoren, die Finanzzahlen und vor allem die Erfolgsrechnung zu lesen. Drei seien stellvertretend für viele erwähnt:
- Die Erfolgsrechnung bildet erstens sowohl kontinuierliche als auch Einmaleffekte ab, etwa Umsätze ebenso wie den Verkauf von Vermögenswerten.
- Als Kosten werden zweitens sowohl effektive Kosten wie Ausgaben für das Personal oder die Miete ausgewiesen als auch Ausgaben, die Investitionscharakter haben, etwa für die Forschung oder die Entwicklung einer neuen Software.
- Drittens basieren verschiedene Positionen in der Erfolgsrechnung, zum Beispiel Ausgaben für Aktienoptionen oder Abschreibungen auf immateriellen Vermögenswerten, auf Schätzungen.
Adjustierte Zahlen
Im Zuge dieser und anderer Unschärfen sind viele Unternehmen dazu übergegangen, zusätzlich zu den geprüften Ergebnissen auch adjustierte Zahlen zu veröffentlichen; diese werden häufig auch Alternative Leistungskennzahlen, Pro-forma-Zahlen oder NonGAAP Measures genannt. Daran ist prinzipiell nichts auszusetzen, sofern die einzelnen Positionen und Effekte im Zeitverlauf konsistent entweder als ordentlich oder ausserordentlich ausgewiesen werden. Und, dass nicht nur Kosten als Einmaleffekte dargestellt werden, sondern auch einmalige Gewinne.
Problematisch an adjustierten Zahlen ist, dass sie anfällig sind für unzulässige Verschönerungen. Das gilt namentlich dann, wenn die variable Vergütung des Managements auf Pro-forma-Zahlen und nicht auf dem gemäss Buchhaltungsvorschriften ausgewiesenen Gewinn beruht. Unter anderem aus diesem Grund achtet die Börsenaufsicht sehr darauf, dass in den Kommunikationsinstrumenten die alternati ven Kennzahlen sofort als solche erkennbar sind und eine Herleitung der angepassten Zahlen dargestellt wird.
EBE – zum Schmunzeln
Als Extrembeispiel für eine adjustierte Zahl schlagen Zyniker den EBE vor: «Earnings before Expenses», in Anlehnung an Luca Pacioli, der um 1500 als erster die doppelte Buchführung komplett beschrieben hatte.
Die Vorschriften zur Rechnungslegung erfordern heute eine viel detail liertere Berichterstattung als vor 20, 30 Jahren. Erstaunlich ist, dass sich die Investoren im Vergleich zu 20, 30 Jahren zuvor bei der Bewertung heute gleichwohl weniger auf diese Finanzzahlen verlassen. Studien zeigen, dass die ausgewiesenen Gewinne und Buchwerte nur rund die Hälfte der Unternehmensbewertung erklären – einst waren es rund 80 Prozent. Grund dafür ist die zunehmende Bedeutung immaterieller Vermögenswerte, seien es Patente, Forschungsanstrengungen, Marken oder Geschäftsprozesse, die weder in den Gewinnen noch den Buchwer ten abgebildet werden.
Mehr als den Pflichtstoff kommunizieren
Im Zuge dieser Entwicklung sind Unternehmen dazu übergegangen, zusätzlich zum Pflichtstoff weitere Informationen zu publizieren. Dazu zählen beispielsweise:
- Bestellungseingang einer Industriegesellschaft
- Zahlen zu den POS eines Retailunternehmens
- Entwicklung der Forschungspipeline von Pharma und Biotechnologieunternehmen
- Bewertungen einzelner Objekte von Immobilienfirmen
- Anzahl Kunden und Akquisitionskosten pro Kunde einer Internetfirma
- Nachhaltigkeitsberichterstattung
Hierbei geht es zuweilen um ebendiese Darstellung immaterieller Vermögenswerte, immer aber um den Abbau von Informationsasymmetrien. Ob ein Unternehmen solche Informationen publizieren will, bedarf sorgfältiger Abwägung. Akademische Untersuchungen zeigen, dass die Kapitalkosten und die Kursvolatilität sinken, je präziser Unter nehmen den Investoren den Status quo und den Weg in die Zukunft darstellen können. Auch eine direkte Korrelation mit Handelsvolumina und dem Bid-Ask-Spread ist nachgewiesen worden. Gegen eine Transparenz über das Pflichtprogramm hinaus werden meist mögliche Nach teile gegenüber der Konkurrenz oder die höhere Wahrscheinlichkeit juristischer Klagen ins Feld geführt.
Weil sie von den genannten Vorteilen überzeugt sind, kommunizieren viele Unternehmen solche Informationen über den Geschäftsabschluss hinaus. Damit diese Informationen für Investoren auch nützlich sind, müssen sie systematisch und standardisiert erhoben und publiziert werden. Darüber hinaus muss ein direkter Ursache-Wirkungs-Zusammenhang mit den Finanzzahlen bestehen. Diese Kriterien erfüllen etwa der oben genannte Bestellungseingang in der Industrie oder die Entwicklung einer Biotech-Forschungspipeline. Weniger wertvoll sind unter dem Aspekt beispielsweise die Resultate von Kunden oder Mitarbeiterbefragungen.