4.3.1 Unternehmen im Anwendungsbereich

Schweizer Unternehmen (d. h. Unternehmen mit Sitz in der Schweiz) unterliegen (im Umfang) den Berichterstattungspflichten über nichtfinanzielle Belange, wenn sie an einer Schweizer Börse oder im Ausland kotiert sind und zusammen mit den von ihnen kontrollierten Unternehmen in der Schweiz und im Ausland (1) in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens 500 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt haben und (2) in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren entweder eine Bilanzsumme von 20 Mio. CHF oder einen Umsatzerlös von 40 Mio. CHF überschreiten.

Art. 964a-c OR gilt grundsätzlich nur für schweizerische Gesellschaften. Gestützt auf die von der SER herausgegebenen «Richtlinie betreffend Informationen zur Coprporate Governance» müssen jedoch auch ausländische Gesellschaften, deren Aktien an der SIX Swiss Exchange kotiert sind, einen Bericht über nichtfinanzielle Belange analog zu Art. 964b OR abgeben.

Schweizer Unternehmen sind von den neuen Berichterstattungspflichten über nichtfinanzielle Belange befreit, wenn sie von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden, das den neuen Vorschriften unterliegt, oder von einem Unternehmen, das nach ausländischem Recht Berichterstattungspflichten unterliegt, die als gleichwertig mit dem neuen Schweizer Standard für die nichtfinanzielle Berichterstattung angesehen werden. Im Obligationenrecht wird nicht festgelegt, welche Standards als gleichwertig anzusehen sind. Da die schweizerischen Vorschriften der NFRD nachempfunden sind und diese 2023 durch die CSRD ersetzt wurde, dürfte jede nach der CSRD geforderte Berichterstattung als gleichwertig betrachtet werden. Andere ausländische Berichterstattungsstandards können ebenfalls gleichwertig sein, allerdings müssen die Emittenten eine Einzelfallprüfung vornehmen.

Gemäss vorab erwähntem Vorentwurf soll der Geltungsbereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgeweitet werden. Neu sollen alle Schweizer Unternehmen, die an einer Schweizer Börse oder im Ausland kotiert sind, zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sein, unabhängig davon, ob sie gewisse Schwellenwerte überschreiten oder nicht. Die Schwellenwerte greifen nur noch bei den nichtkotierten Unternehmen.

 

4.3.2    Inhalt der jährlichen Berichterstattung gemäss Art. 964b OR

Im Bericht über nichtfinanzielle Belange muss über Folgendes Rechenschaft abgelegt werden:

  • Umweltbelange, insbesondere Auswirkungen auf die geltenden CO2-Ziele
  • Sozialbelange
  • Arbeitnehmerbelange
  • Achtung der Menschenrechte
  • Bekämpfung der Korruption

Der Bericht muss ferner die Informationen enthalten, die erforderlich sind, um den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis, die Lage des Unternehmens und die Auswirkungen seiner Tätigkeit auf die oben genannten nichtfinanziellen Belange zu verstehen.

Im Einzelnen sollte der Bericht Folgendes enthalten:

a)Eine Beschreibung des Geschäftsmodells des Emittenten
b)Eine Beschreibung der Konzepte, welche bezüglich der oben erwähnten Belange verfolgt werden, einschliesslich der angewandten Sorgfaltsprüfung
c)Eine Darstellung der Massnahmen, die zur Umsetzung dieser Konzepte ergriffen wurden, und eine Bewertung der Wirksamkeit dieser Massnahmen
d)

Eine Beschreibung der wichtigsten Risiken im Zusammenhang mit den oben erwähnten Belangen und des Umgangs des Unternehmens mit diesen Risiken; in Bezug auf diese Risiken sollte der Bericht primär Folgendes umfassen;

  • Risiken, die sich aus der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ergeben und
  • soweit relevant und verhältnismässig, Risiken, die sich aus den Geschäftsbeziehungen, Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens ergeben
e)Die wesentlichen nichtfinanziellen Leistungsindikatoren bezüglich der fünf erwähnten Belange

Im Vergleich zur derzeit geltenden Berichterstattungspflicht über nichtfinanzielle Angelegenheiten wird mit oben erwähntem Vorentwurf der Umfang der Nachhaltigkeitsinformationen weiter ausgedehnt und spezifiziert. Die Terminologie der derzeit geltenden Vorschriften wird weitgehend durch neue Begriffe mit ähnlicher Bedeutung ersetzt. 

In Übereinstimmung mit den Berichtspflichten gemäss der Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange vom 23. November 2022, die am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, verlangt der Vorentwurf von den Unternehmen im Geltungsbereich, dass sie über den Stand in Bezug auf die Erreichung des 2050-Netto-Null-Treibhausgasemissionsziels (Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau) berichten. Dies beinhaltet die Berichterstattung über Scope-1-, Scope-2- und gegebenenfalls Scope-3-Treibhausgasemissionen in Übereinstimmung mit dem aktuellen GHG Protocol Corporate Accounting and Reporting Standard.

Die wichtigste Änderung gegenüber der derzeitigen Berichterstattungspflicht über nichtfinanzielle Aspekte besteht darin, dass alle Informationen in Übereinstimmung mit den in der EU verwendeten Standards (d. h. den Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS)) oder einem anderen gleichwertigen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgelegt werden müssen. Der gewählte Standard muss in seiner Gesamtheit übernommen werden. Der Bundesrat wird die Standards, die den ESRS gleichwertig sind, in einer Verordnung bezeichnen.


4.3.3    Klimaberichterstattung

Die Regelungen in Art. 963a-c OR wurden in Bezug auf die Klimabelange durch die Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange vom 23. November 2022 ergänzt. Die Verordnung, welche am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, empfiehlt, dass Emittenten über Klimabelange (als Teil der Berichterstattung über Umweltbelange wie in Art. 964b Abs. 1 OR vorgeschrieben) in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der «Task Force on Climate-related Financial Disclosures» (TCFD) in der aktuellen Fassung vom Juni 2017 und dem Anhang «Implementing the Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosures» (Umsetzung der Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures) vom Oktober 2021 berichten. Die ersten Berichte gemäss den TCFD-Empfehlungen müssen im Jahr 2025 für das Geschäftsjahr 2024 veröffentlicht werden. Für das Geschäftsjahr 2023 ist die Berichterstattung zu Klimafragen lediglich in Artikel 963a-c OR geregelt.

Zu den wichtigsten Merkmalen der Berichterstattung im Rahmen der Verordnung und indirekt im Rahmen der TCFD-Empfehlungen ist die Verpflichtung der Emittenten, soweit möglich und sachgerecht, quantitative Informationen über CO2-Ziele und gegebenenfalls Ziele für andere Treibhausgase sowie quantitative Informationen über alle Treibhausgasemissionen (inkl. Scope-3-Emissionen) zu veröffentlichen. Des Weiteren werden Emittenten verpflichtet, soweit möglich und sachgerecht, ihre grundlegenden Annahmen und Methoden offenzulegen, um die Vergleichbarkeit unter den Marktteilnehmern zu erhöhen. Im Einklang mit den CSRD-Anforderungen muss der Bericht über Klimabelange nach einer einjährigen Übergangsfrist ab 2026 in einem für den Menschen lesbaren (z. B. PDF) und einem maschinenlesbaren Format (z. B. XBRL) veröffentlicht werden. Da der Bericht über Klimabelange in den Bericht über nichtfinanzielle Belange inkludiert werden soll, wird die Anforderung der Maschinenlesbarkeit de facto auf den gesamten Bericht über nichtfinanzielle Belange erweitert.

Gemäss Vorentwurf muss der Bericht über Nachhaltigkeitsaspekte in einem einheitlichen elektronischen Format, welches einem international verwendeten Standard entspricht, erstellt werden.


4.3.4    Doppelte Wesentlichkeit

Die Berichterstattung muss generell dem Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit folgen: Emittenten müssen nichtfinanzielle Angaben machen, wenn sie entweder den Wert des Emittenten wesentlich beeinflussen (Outside-in-Perspektive) oder in Bezug auf Umwelt- und Sozialbelange wesentlichi, d. h. für das Verständnis der Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Emittenten auf Menschen und Umwelt notwendig sind (Inside-out-Perspektive).

Der bereits nach geltendem Recht geltende Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit soll nach dem Vorentwurf ausdrücklich im Gesetz verankert werden.

 

4.3.5 Comply-or-Explain

Die neue Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange folgt einem «Befolgen oder Erklären»-Ansatz («Comply-or-Explain», Art.964b Abs. 5 OR): Falls ein Emittent zu nichtfinanziellen Belangen, über die gemäss Art. 964b Abs. 1 OR zu berichten ist, keine Angaben macht, ist dies zulässig, sofern der Emittent eine klare Begründung und Erklärung dafür liefert, warum er kein bestimmtes Konzept verfolgt.

Zu beachten ist, dass Art. 964b Abs. 5 OR nur eine Comply-or-Explain-Option für die Berichterstattung über die implementierten Konzepte und getroffenen Massnahmen und deren Wirksamkeit vorsieht. Die wesentlichen nichtfinanziellen Belange gemäss dem Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit und die Risiken und Leistungsindikatoren zu den relevanten nichtfinanziellen Belangen müssen beide im nichtfinanziellen Bericht behandelt werden.

Im Einklang mit der CSRD soll nach erwähntem Vorentwurf die im geltenden Recht bestehende Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen auf die Berichterstattung zu einzelnen Nachhaltigkeitsthemen zu verzichten, nicht mehr bestehen.

 

4.3.6 Verhältnis zu internationalen Offenlegungsvorschriften

Gemäss Art. 964b Abs. 3 OR kann sich der Bericht auf nationale, europäische oder internationale Berichtsstandards stützen, insbesondere auf die Standards der Global Reporting Initiative (GRI). Zum Zeitpunkt des Erscheinens der 9. Ausgabe des Handbuchs orientieren sich die an der SIX kotierten Schweizer Emittenten, die sich gemäss Richtlinie zur Corporate Governance zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichteten («Opting In»), alle am GRI-Standard. Deckt ein Berichtsstandard nicht alle Aspekte ab, die der Schweizer Standard für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange verlangt, müssen diese in einem Zusatzbericht behandelt werden. Wird ein internationaler Standard angewandt, so müssen der internationale Standard oder die angewandten Vorschriften im Bericht ausdrücklich angegeben werden.

Die Schweizer Vorschriften für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange wurden in Anlehnung an die NFRD entwickelt. Diese wurde durch die CSRD ersetzt. Da die Vorschriften der CSRD strenger als diejenigen der NFRD sind, dürfte die Einhaltung dieses Standards auch dem derzeit geltenden Schweizer Standard genügen. Gemäss Vorentwurf muss die Berichterstattung in Zukunft in Übereinstimmung mit den in der EU verwendeten Standards (d. h. den Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS)) oder einem anderen gleichwertigen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgen.

Die GRI-Standards decken im Allgemeinen die gleichen Themenbereiche wie auch die schweizerischen gesetzlichen Standards in Bezug auf die nichtfinanzielle Berichterstattung ab. Ob jedoch ein Unternehmen, welches nach den GRI-Standards Bericht erstattet, auch den schweizerischen gesetzlichen Standards in Bezug auf die nichtfinanzielle Berichterstattung genügt, hängt von der individuellen Umsetzung der GRI-Standards ab, da die GRI-Standards den Emittenten einen breiten Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Standards einräumen. Es ist deshalb empfehlenswert, eine detaillierte Analyse durchzuführen. Zusätzliche Angaben können in Bezug auf die Belange «Achtung der Menschenrechte» und «Bekämpfung der Korruption» erforderlich werden. Hier müssen Verweise auf die entsprechenden schweizerischen gesetzlichen Bestimmungen und die internationalen Verträge, denen die Schweiz beigetreten ist, in den Bericht aufgenommen werden.

 

4.3.7 Berichtsformat

In Art. 964b OR ist nicht festgelegt, ob der Bericht als eigenständiger Bericht veröffentlicht werden muss oder ob er Teil des Geschäftsberichts sein kann. Nach den Gesetzesmaterialien sollte die Berichterstattung in einem separaten Bericht erfolgen.ii Ein separater Bericht war auch gemäss der NFRD möglich (vgl. Art. 19a der NFRD). Nach der CSRD sind die Emittenten jedoch verpflichtet, den nichtfinanziellen Bericht in den Geschäftsbericht aufzunehmen. Die Bestimmungen von Art. 964a ff. OR sollten ebenfalls die Einbeziehung des nichtfinanziellen Berichts in den Geschäftsbericht erlauben. Dies wird im erläuternden Bericht zum Vorentwurf explizit festgehalten.

Gemäss CSRD müssen Emittenten aus Drittländern (einschliesslich der Schweiz) mit einem Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR in der EU auf konsolidierter Ebene und mindestens einer Tochtergesellschaft (gross oder börsenkotiert) oder Zweigniederlassung (Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. EUR) in der EU, einen Nachhaltigkeitsbericht auf konsolidierter Ebene der obersten Drittlandgesellschaft (d. h. Nicht-EU) erstellen. Nachhaltigkeitsberichte der Drittlandgesellschaft müssen nach einem eigenen EU-Berichtsstandard, dem für EU-Emittenten geltenden Standard oder einem (gemäss Entscheid der EU-Kommission) als gleichwertig erachteten Standard erstellt werden. Die Berichterstattung im Rahmen der CSRD für Nicht-EU-Emittenten wird im Jahr 2028 in Kraft treten, wobei die erste Meldung im Jahr 2029 fällig wird.

Art. 964b Abs. 6 sieht vor, dass der Bericht auch auf Englisch (oder in einer anderen Amtssprache der Schweiz) veröffentlicht werden kann. Auch ein Bericht, der nur auf Englisch verfasst ist, ist zulässig.

 

4.3.8 Genehmigung durch die Aktionäre

In der Praxis muss der Bericht in Übereinstimmung mit dem Zeitplan für die Erstellung des Geschäftsberichts und der Jahresrechnung erstellt werden. Der Hauptgrund für diesen Zeitplan ist, dass Art. 964c OR die Genehmigung des Berichts durch die Aktionäre des Emittenten vorschreibt. Der Verwaltungsrat des Emittenten sollte den Bericht daher genehmigen und den Aktionären auf der Versammlung, auf der er auch die übrigen Tagesordnungspunkte der Generalversammlung genehmigt, zur Genehmigung empfehlen.

Die Aktionäre können den Bericht genehmigen oder ablehnen, aber keine Vorschläge zur Ergänzung oder Änderung des Berichts einreichen. Fällt die Abstimmung über den Bericht negativ aus, so hat dies keine unmittelbaren rechtlichen Folgen. Der Verwaltungsrat muss die Gründe für die Ablehnung prüfen und dann die geeigneten Massnahmen ergreifen, um diesen Gründen Rechnung zu tragen. Der Verwaltungsrat muss den Bericht nicht erneut zur Genehmigung vorlegen. Es reicht aus, wenn der Verwaltungsrat im nächsten Bericht auf die Punkte eingeht, die zu einem negativen Votum geführt haben.

 

4.3.9 Keine Pflicht zur Prüfung des Berichts

Nach den derzeit geltenden Schweizer Vorschriften zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange sind die Emittenten nicht verpflichtet, den Bericht von einer Revisionsgesellschaft prüfen zu lassen. Im Einklang mit der CSRD, nach der Nachhaltigkeitsberichte mit einem Bestätigungsvermerk veröffentlicht werden müssen, müssen gemäss Vorentwurf die Angaben über Nachhaltigkeitsaspekte durch ein Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle geprüft werden.

 

4.3.10 Veröffentlichung des Berichts über nichtfinanzielle Belange

Der Bericht ist unmittelbar nach seiner Genehmigung elektronisch zu veröffentlichen und muss mindestens zehn Jahre lang zugänglich bleiben. Die Veröffentlichung dürfte gemäss Art. 964c Abs. 2 Nr. 1 erst dann erforderlich sein, wenn die Aktionäre den Bericht genehmigt haben. In der Praxis muss der Bericht jedoch vor der Generalversammlung zur Verfügung gestellt werden, damit die Aktionäre in Kenntnis der Sachlage über den Bericht abstimmen können.

1

BJ (Ed.), Bericht über Transparenz bezüglich nichtfinanzieller Belange und Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit vom 19. November 2019, S. 13, abrufbar unter www.parlament.ch/centers/documents/de/bericht-kinderarbeit-bj-2019-11-19-d.pdf (25.11.2021).

2BJ (Ed.), Bericht über Transparenz bezüglich nichtfinanzieller Belange und Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit vom 19. November 2019, S. 8, abrufbar unter www.parlament.ch/centers/documents/de/bericht-kinderarbeit-bj-2019-11-19-d.pdf (25.11.2021).
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