Zum Start und zur Überwachung des Prozesses der Sammlung relevanter Informationen und der Festlegung wesentlicher Themen für den Nachhaltigkeitsbericht muss das Unternehmen ein eigens dafür bestimmtes Team festlegen. Der Prozess kann intern durchgeführt oder zumindest teilweise an ein Beratungsunternehmen delegiert werden. Für einen effizienten und vor allem effektiven Prozess ist es von entscheidender Bedeutung, dass Verwaltungsrat und Geschäftsleitung die strategische Bedeutung kommunizieren und Verantwortung übernehmen.

 

Prozess der Wesentlichkeitsanalyse
Die Schritte der doppelten Wesentlichkeitsanalyse

Der Prozess zur Definition der wesentlichen Themen für das Unternehmen muss den regulatorischen Vorgaben genügen. Meist erfolgt er in sechs allgemein gültigen Schritten. An diesem Prozess sind das Team für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie die internen und externen Stakeholder beteiligt:

1. Kontext

Der Prozess beginnt mit einer Kontextanalyse. Dazu gehören die Kenntnis und das Verständnis der relevanten rechtlichen Anforderungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Verständnis der Nachhaltigkeitsthemen in den relevanten Märkten und die Beschreibung des Geschäftsmodells, der Lieferkette und der Stakeholder. Mit diesen Komponenten wird festgelegt, welche Art von Auswirkungen das Unternehmen hat, welche Stakeholder betroffen sind oder sein könnten und daher in den Prozess einbezogen werden müssen, und welche externen Abhängigkeiten bestehen (z.B. Land, Rohstoffe, Vorschriften).

2. Auswirkungen und Risiken

Im nächsten Schritt wird eine lange Liste von Auswirkungen und exogenen Risiken für das Unternehmen erarbeitet. Sie wird in der Regel in Workshops oder Umfragen unter Beteiligung von Personen aus verschiedenen Geschäftsbereichen und externen Stakeholdern erstellt. Zur Erarbeitung der möglichen materiellen Themen können Standards wie GRI oder ESRS als Basis dienen.

3. Stakeholder

Für die Erarbeitung einer kurzen Liste von materiellen Themen ist es wichtig, die in der Kontextanalyse (siehe Schritt 1) definierten Stakeholder miteinzubeziehen. Nur so werden alle wesentlichen Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft sowie die Risiken in vollem Umfang und aus externem Blickwinkel berücksichtigt und gewichtet. Die Interaktion kann z. B. in Form einer Online-Umfrage oder einer Fokus-Gruppendiskussion sowie von Einzelgesprächen erfolgen. Dabei gilt es zu beachten, dass ein bestimmtes Thema allein deshalb wesentlich werden kann, weil ein erheblicher Teil der externen Stakeholder es als solches einstuft. Die Einbeziehung von Stakeholdern verleiht der Wesentlichkeitsanalyse also eine zusätzliche Dimension. Das Ergebnis von Schritt 3 ist eine kurze Liste der wesentlichen Themen, einschliesslich der Risiken, die nach ihrer Bedeutung für die Stakeholder und das Unternehmen geordnet sind.

4. Validierung

Sobald die Kurzliste der wesentlichen Themen bewertet ist, wird diese Liste und die Rangfolge der Themen darauf vom Nachhaltigkeitsteam und anderen Experten im Unternehmen sowie von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung validiert. Das Ergebnis der Validierung ist eine Matrix zur doppelten Wesentlichkeit oder eine Liste wesentlicher Themen (siehe Beispiel unten), welche die Grundlage für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bildet.

5. Berichterstattung

Damit Investoren, Rating-Agenturen, Finanzanalysten, Mitarbeitende, Behörden, Prüfer oder auch Lieferanten die nichtfinanzielle Berichterstattung nachvollziehen können und die nötige Glaubwürdigkeit gewährleistet ist, muss das Unternehmen beschreiben, wie die für das Unternehmen materiellen Themen erarbeitet wurden, inklusive wer in den Prozess wie einbezogen wurde. Dazu gehört auch die Offenlegung der Wesentlichkeitsmatrix oder einer Liste wesentlicher Themen im Bericht, wo die Bedeutung respektive Gewichtung ersichtlich wird. Die Prozessbeschreibung ist in den gängigen Reportingstandards Pflicht.

6. Überprüfung

Durch eine regelmässige Überprüfung der wesentlichen Themen wird sichergestellt, dass die Themen stets auf dem neuesten Stand sind. Vor allem, wenn sich die regulatorischen Anforderungen für die Berichterstattung ändern oder Unternehmen Geschäftsfelder hinzukaufen oder abstossen, ist es wichtig, die wesentlichen Themen gegebenenfalls zu ergänzen oder streichen. Eine vollständige Wesentlichkeitsbewertung sollte nach Schritt 1 alle drei bis vier Jahre oder im Rahmen des regulären Strategiezyklus des Unternehmens durchgeführt werden.

Beispiel für eine Wesentlichkeitsliste (Auszug über die Auswirkungen auf Menschen):
Beispiel für eine Wesentlichkeitsliste:
Wesentliche ThemenUnterthemen
Menschen 
Customer Experience
  • Exzellenz
  • Überdurchschnittliche Leistung
  • Bewährte Dienstleistungen und Praktiken
Vielfalt, Gleichheit und Integration
  • Vielfältige Belegschaft
  • Fairer und integrativer Arbeitsplatz
  • Gleiche Beschäftigungsbedingungen und -chancen
Digitalisierung
  • Cyber-Risiken
  • Durchgängige Digitalisierung für optimale Customer Experience
  • Technologie als Unterscheidungsmerkmal
  • Digitale Kultur und Arbeitsumgebungen
  • Integriertes digitales Produkt- und Dienstleistungsangebot
  • Datenmanagement
Talentmanagement
  • Employer Branding und Talentanwerbung
  • Arbeitgeberschulungen zum Aufbau von Qualifikationen und Kompetenzen
  • Interne Mobilität
  • Management- und Talentplanung sowie Nachfolgeplanung
  • Talent- und Führungsentwicklung
  • Lehrlingsausbildung und Berufsausbildung
Arbeitskultur und Arbeitsumfeld
  • Zweck und kultureller Rahmen
  • Hybridarbeit und flexible Arbeitsregelungen
  • Flexible Arbeit
  • Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz
  • Offenheit gegenüber Anliegen der Belegschaft und deren Einbeziehung
  • Freiwilliges Engagement der Belegschaft
Vergütung und Leistungsmanagement
  • Vergütungsphilosophie und -konzept
  • Vergütung von Führungskräften
  • ESG in Leistungsmanagement und Vergütung
  • Lohngleichheit
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