7 Anforderungen an Netto-Null-Fahrpläne

Autoren:

  • Julian Meitanis, Director, Audit / Corporate Sustainability Services, KPMG

  • Silvan Jurt, Partner, Audit / Head Corporate Sustainability Services, KPMG

     

Letzte Aktualisierung am 12. Mai 2025

 

Einleitung

Netto-Null ist nicht länger eine Vision – sondern ein regulatorisch gefordertes Ziel. Ab 2025 sollen Schweizer Unternehmen Fahrpläne ausweisen, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Die Vernehmlassung zur Verordnung zur Berichterstattung über Klimabelange (KlimaVO) enthält entsprechende Anpassungen an die Netto-Null-Fahrpläne (bisher Transitionsplan oder Klimaübergangsplan genannt).

Fahrpläne dienen als strategisches Instrument zur langfristigen Planung der Dekarbonisierung eines Unternehmens oder Finanzinstituts. Sie umfassen eine THG-Bilanz (Scope 1–3), definieren wissenschaftsbasierte Reduktionsziele, enthalten Zwischenziele für 2030 und 2040 sowie – wo möglich – sektorspezifische Ziele für 2035 und 2045. Ein linearer Absenkpfad bis 2050 wird empfohlen. Ergänzt werden die Fahrpläne durch Massnahmenpläne, Governance-Strukturen und Angaben zu Negativemissionen.

Rahmen und Zielsetzung

Die Schweiz hat sich mit der Ratifikation des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 % gegenüber 1990 zu senken. Mit dem Klimaschutzgesetz (KIG), das 2025 in Kraft tritt, wird zudem das Netto-Null-Ziel 2050 im nationalen Recht verankert. Das Gesetz verpflichtet den Bund, den Finanzsektor auf Klimaziele auszurichten und seinen Beitrag zur Emissionsreduktion sicherzustellen. 

Bereits das geltende Recht (Art. 3 KlimaVO) fordert einen Fahrplan, der mit den Schweizer Klimazielen übereinstimmt. Ab dem 1. Januar 2025 werden durch die Verordnung zum Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (Klimaschutzverordnung, KlV) die Mindestanforderungen an Unternehmen präzisiert. Gemäss Bundesratsauftrag werden prinzipienbasierte Mindestanforderungen für Finanzunternehmen in der Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange aufgenommen. Dadurch erweitern sie die bestehende Regelung und erhöhen gleichzeitig die Vergleichbarkeit und Aussagekraft der Berichterstattung.

Während die Erstellung der Fahrpläne grundsätzlich freiwillig ist, verlangt das KlG sie explizit bei Gesuchen für staatliche Fördermittel nach Art. 6 sowie für Finanzinstitute im Rahmen der Berichterstattungspflicht gemäss revidierter Verordnung über Klimabelange (KlimaVO). 

Der Begriff "Transitionsplan" wird in Angleichung an das Klimaschutzgesetz durch "Fahrplan" ersetzt, beide werden synonym behandelt. Fahrpläne beschreiben den Weg zur Netto-Null bis 2050, adressieren insbesondere klimabedingte Transitionsrisiken und enthalten Emissionsziele, Zwischenziele sowie Massnahmen zur Reduktion im Betrieb sowie entlang der Wertschöpfungskette. Die Klimaschutzverordnung definiert Mindestanforderungen an Netto-Null-Fahrpläne für Unternehmen der Realwirtschaft und der Finanzbranche. Da Investitionen und Finanzierungen massgeblich zur Klimawirkung beitragen, gelten für den Finanzsektor spezifische Anforderungen. 

Der Fahrplan soll mit den Schweizer Klimazielen gemäss KIG vereinbar sein und sich auf alle wesentlichen Geschäftsbereiche beziehen. Somit müssen auch Scope-3-Emissionen, also indirekte Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, berücksichtigt werden.

Die Anpassungen in der Vernehmlassung tragen internationalen Entwicklungen Rechnung, wodurch die Auflösung des TCFDs 2023, der direkte Verweis auf die TCFD Recommendations entfällt. Stattdessen verweist die Vernehmlassung nun allgemein auf internationale Berichtsstandards, darunter den IFRS ISSB-Standard S2, die klimabezogenen Risiken und Chancen berücksichtigt. Mit dem IFRS ISSB-Standard und den Vorgaben der EU durch den European Sustainability Reporting Standard (ESRS) werden die zentralen Aspekte der TCFD-Recommendations abgedeckt [1]. Die Transition Plan Taskforce (TPT), eine Organisation, welche durch einen integrativen Ansatz zur Entwicklung einer umfassenden Reihe von Materialien für die Offenlegung von Fahrplänen führte, wurde 2024 in die IFRS ISSB Organisation integriert. Hierdurch verfügt das IFRS ISSB an sektorspezifischen Leitlinien für die freiwillige Erarbeitung von Fahrplänen.

Das KlG schreibt vor, dass alle Unternehmen bis 2050 Netto-Null erreicht haben müssen. Bereits heute orientieren sich einige Unternehmen an freiwilligen Standards wie der Science Based Targets Initiative (SBTi) oder der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ), um ihre Netto-Null-Strategien zu definieren.

Unternehmen müssen sich darauf vorbereiten, dass ihre Klimaziele mit robusten und glaubwürdigen Fahrplänen hinterlegt werden. ​Wie der Fall Adidas gezeigt hat, besteht ein steigendes Risiko. Im Fall von Adidas hat ein deutsches Gericht entschieden, dass das Unternehmen nicht länger behaupten darf, bis 2050 klimaneutral zu werden. Diese Aussage wurde als irreführend eingestuft, da sie keinen konkreten Fahrplan in Form von Massnahmen und Zeitpläne zur Emissionsreduzierung enthält. Das Gericht betonte die Notwendigkeit transparenter und überprüfbarer Klimaschutzstrategien.

Finanzbranche: Spezifische Anforderungen

Unternehmen der Finanzbranche müssen Fahrpläne mit wissenschaftlich fundierten, sektorspezifischen Reduktionszielen für Treibhausgasemissionen aufstellen. Diese sollen nach Anlageklassen differenziert werden, da Handlungsoptionen je nach Investitionstyp – etwa Immobilien oder Aktienportfolios – variieren. Die Reduktionsziele betreffen die konzernweite Geschäftstätigkeit der finanzierten Unternehmen, unabhängig vom Standort der Emissionen. Soweit möglich, sollen auch vor- und nachgelagerte Emissionen der investierten oder finanzierten Unternehmen einbezogen werden. Diese neuen Vorgaben erhöhen die Transparenz und Verbindlichkeit der Netto-Null-Strategien und stärken die klimaverträgliche Ausrichtung der Finanzströme.

 

Auf dem Weg zur Klimaneutralität: Die Schweizer Richtlinie für Netto-Null-Fahrpläne

Mit der Veröffentlichung der "Richtlinie zur Erstellung von Netto-Null-Fahrplänen für Unternehmen" im Januar 2025 setzt die Schweiz eine neue Vorgabe für die unternehmerische Klimaverantwortung. Die Richtlinie konkretisiert die Erwartungen des Bundesrats an die Privatwirtschaft, bis spätestens 2050 die Treibhausgasemissionen auf netto null zu senken. Sie bietet eine strukturierte Grundlage zur Erstellung konsistenter, überprüfbarer und wissenschaftsbasierter Netto-Null-Fahrpläne – ein zentraler Baustein für eine unternehmensspezifische Klimastrategie.

Zielsetzung und Anwendungsbereich

Die Richtlinie richtet sich an alle Unternehmen in der Schweiz, unabhängig von Branche oder Grösse, die einen Fahrplan zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen erarbeiten möchten oder dies auf politische, regulatorische oder marktwirtschaftliche Anforderungen hin tun müssen. Die Hauptziele bestehen darin, Transparenz über Klimaziele und -massnahmen zu schaffen, Emissionen systematisch zu reduzieren und verbleibende Emissionen mittels robusten Negativemissionstechnologien zu kompensieren.

Struktur und Kernelemente des Netto-Null-Fahrplans

Die Richtlinie verlangt eine umfassende Darstellung der Dekarbonisierungsstrategie des Unternehmens. Ein individueller Netto-Null-Fahrplan für Unternehmen kann folgende Merkmale enthalten:

  1. Zwecke
    Die Motivation des Unternehmens zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis spätestens 2050 und Einbettung in eine übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie sowie die Relevanz der Klimathematik für das Geschäftsmodell sind transparent darzulegen.
  2. Definition des Zielpfads
    Es ist ein Zieljahr für das Erreichen von Netto-Null festzulegen, mit Zwischenzielen in den Jahren 2030 und 2040, sowie empfohlenen Zwischenzielen in Fünfjahresschritten. Die Ziele müssen auf wissenschaftsbasierten Grundlagen beruhen und kompatibel mit dem 1.5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens sein.
  3. Emissionsbilanz, Kontroll-Ansatz und Systemgrenzen
    Unternehmen müssen ihre Treibhausgasemissionen vollständig und nachvollziehbar bilanzieren – inklusive Scope 1 (direkte), Scope 2 (indirekte aus Strom, Wärme und Kälte) und, wo relevant, Scope 3 (vorgelagerte und nachgelagerte) Emissionen. Klare Definition des Kontroll-Ansatzes als Grundlage für die Systemgrenze.
  4. Reduktionspfad und Massnahmenplan
    Ein detaillierter Massnahmenkatalog beschreibt, wie Emissionen innerhalb der definierten Systemgrenzen schrittweise reduziert werden. Technologische, organisatorische und prozessuale Ansätze sind darzustellen.
  5. Rolle von Negativemissionen
    Nur unvermeidbare Restemissionen dürfen kompensiert werden – ausschliesslich durch anerkannte Negativemissionstechnologien (z. B. direkte CO₂-Abscheidung und -Speicherung). Ein Aufbauplan für den Ausgleich der schwer vermeidbaren Emissionen ist zu beschreiben und der Umfang dieser Kompensation ist zu begrenzen und zu begründen.
  6. Governance und Verantwortlichkeiten
    Der Fahrplan ist im Unternehmen organisatorisch zu verankern. Zuständigkeiten, interne Steuerungsprozesse sowie das Monitoring von Fortschritten sind verbindlich zu definieren.
  7. Transparenz und Kommunikation
    Fortschritte sind regelmässig offenzulegen. Externe Prüfungen, beispielsweise durch unabhängige Dritte oder nach Standards wie SBTi, werden empfohlen.
  8. Anpassung
    Regelmässige Aktualisierung der Fahrpläne und Massnahmen

 

Methodik und Orientierung an internationalen Standards

Die Richtlinie orientiert sich an etablierten internationalen Rahmenwerken, dem Greenhouse Gas Protocol sowie ISO-Normen. Sie erlaubt auch die Integration branchenspezifischer Standards und lässt Spielraum für innovative Ansätze, sofern diese transparent dokumentiert werden.

Zeitrahmen und Umsetzung

Obwohl die Anwendung der Richtlinie freiwillig erfolgt, erwartet der Bund eine breite Umsetzung, insbesondere bei grossen Unternehmen und emissions-intensiven Branchen. Die Richtlinie empfiehlt, Netto-Null-Fahrpläne bis 2030 zu erstellen und frühzeitig mit der Umsetzung zu beginnen. Unternehmen, die einen Fahrplan gemäss dieser Richtlinie erarbeiten, leisten einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Schweizer Klimaziele und zur Stärkung ihrer eigenen Resilienz.

Fazit

Mit der neuen Richtlinie für Netto-Null-Fahrpläne wird Klimatransparenz zur unternehmerischen Pflicht. Die Schweiz schafft damit ein Instrument zur Umsetzung ihrer Klimaziele – und fordert von der Wirtschaft einen realistischen, überprüfbaren Weg zur Dekarbonisierung. Wer kein klares Zielbild für 2050 vorlegt, wird in Zukunft nicht nur regulatorisch, sondern auch finanziell und reputativ unter Druck geraten. Unternehmen, die Netto-Null-Fahrpläne frühzeitig strategisch verankern, sichern sich regulatorische Compliance und stärken ihre Kapitalmarktfähigkeit

 

[1] Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Änderung der CSR Direktive mit dem «Omnibus Simplification Package», hatte zum Zeitpunkt im März 2025 die Anforderung an den Transitionsplan nicht sichtlich verändert. Die EFRAG hat im Herbst 2024 einen Transitionsplan-Entwurf «IG [4] Implementation Guidance [draft] Transition Plan for Climate Change Mitigation» präsentiert.

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